Alles Menschenmögliche gegen den Mord am palästinensischen Volk mobilisieren

  1. Manifester Völkermord

Das Unerhörte passiert unter unseren Augen. Der verlängerte Arm des Westens, der israelische Kolonialismus, begeht einen für die ganze Welt sichtbaren Völkermord. Jeden Tag bringt Israel mehrere Hundert Palästinenser um, die große Mehrheit davon Frauen und Kinder. Und das Besondere: Im Gegensatz zu seinen westlichen Unterstützern, versucht Israel das gar nicht zu verstecken. Die politischen Eliten des Siedlerstaates stehen zum Völkermord. Sie sagen offen, dass sie die Palästinenser vertreiben oder vernichten wollen. Nur für den internationalen Konsum soll das behelfsmäßig verschleiert werden.

Das ganze zionistische Projekt basiert auf der Verweigerung der Selbstbestimmung der Palästinenser, ihrer Vertreibung und in der Konsequenz auf ihrer Auslöschung als Volk. Apartheid, Vertreibung und Völkermord sind also konstitutiv für Israel als exklusiver, gegen die ursprüngliche Bevölkerung gerichteter Staat. Die koloniale Gewalt geht in Wellen, in Ausbrüchen, in Kriegen, in Massakern, in einer Serie von schleichenden, kleinen Nakbas, die an bestimmtes Punkten kulminieren.

So sichtbar und so offensichtlich wie heute war sie nach Ausrufung der „liberalen Weltordnung“ unter alleiniger US-Führung noch nie. Nie klaffte der Spalt zwischen Propaganda und Realität so weit auseinander.

 

  1. Solidarität des Globalen Südens

Der israelische Völkermord und die unverbrüchliche westliche Unterstützung dafür haben im globalen Süden einen riesigen Aufschrei ausgelöst. Die breiten Massen versammeln sich hinter dem palästinensischen Volk, dessen Schicksal symbolisch für das des globalen Südens steht. Sie sagen: es muss endlich Schluss sein mit dem westlichen Imperialismus und seiner kolonialen Speerspitze Israel!

Die ganze liberale Rhetorik der Neuen Weltordnung von Freiheit, Gleichheit und Wohlstand liegt zumindest im Globalen Süden in Trümmern. Der Widerspruch zur Realität im Globalen Süden ist zu groß.

Wichtige Teile der Eliten des Globalen Südens streben nach einer multipolaren Ordnung. Einige von ihnen, an der Spitze Südafrika, das sich selbst von der Apartheid befreit hat, stehen klar hinter den Palästinensern. Viele müssen so tun als ob sie hinter den Palästinensern stünden (die meisten arabischen Regime) und einige heucheln Neutralität (wie Indien). Die, die sich offen für den Völkermord aussprechen, wie der neue Präsident Argentiniens, müssen mit der überwiegenden Ablehnung ihrer Bevölkerungen rechnen.

 

  1. Nur die westlichen Eliten für den Völkermord

Auch in den meisten westlichen Ländern gibt es eine präzedenzlose Massenbewegung zur Beendigung des Völkermords. Sie geht über die Mobilisierung der bedeutenden muslimischen und arabischstämmigen Bevölkerung weit hinaus. In den USA hat sie breite Unterstützung in der jüdischen Bevölkerung. Auch in Südafrika gibt es bedeutende jüdische kritische Stimmen.

Doch bis auf ganz wenige Ausnahmen (vor allem in Irland) stellen die westlichen Eliten sich auf die Seite des Völkermords und sind auch in der Lage ihn über Medienkontrolle und autoritäre Maßnahmen umzulügen. Antikolonialer Widerstand wird in der Regimepropaganda dann nach bekanntem Muster zum „Terror“.

Doch der politische Preis dafür ist hoch und wird immer höher je länger der Völkermord andauert. In den USA ist es ein wesentlicher Faktor der wahrscheinlichen Wahlniederlage der Demokraten bei den kommenden Präsidentschaftswahlen und in Großbritannien musste die Innenministerin zurücktreten, die die Palästina-Demos verbieten wollte.

 

  1. Schwarzgrün als Völkermordversteher

In Österreich und in der BRD ist die Situation besonders schlimm.

In Deutschland sind die Grundrechte sowieso immer prekär gewesen und nun wurde die Palästinabewegung in einer nie dagewesenen Weise unterdrückt – in offener Verletzung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit. Zwar gab es einige gerichtliche Aufhebungen der Verbote, doch die Stimmen gegen den Völkermord bleiben geächtet und werden unterdrückt.

In Österreich hat die Regierung eine extremistische Position bezogen und bereits drei Mal gegen einen Waffenstillstand gestimmt, noch schlimmer als Berlin. Antifa auf den Kopf stellend und mit dem umdefinierten Antisemitismusbegriff operierend, hat auch die österreichische Exekutive versucht in diese Richtung zu gehen und Demos zu unterdrücken – mit der grotesken amtlichen Argumentation der Ruf „Vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei“ „leiste dem Neonazismus“ Vorschub und sei „genozidal gegenüber Juden“. Die Bewegung musste zunächst diese Einschränkung der Meinungsfreiheit hinnehmen, doch die Massendemos fanden dann dennoch statt. So weit wie in der BRD wagte sich die Exekutive dann dennoch nicht vor. Und die Schlacht vor den Gerichten steht noch bevor. Einige der Anzeigen wegen diverserer Terror-Paragraphen wurden von der Staatsanwaltschaft bereits zurückgelegt.

Dieses Vorgehen steht im Gegensatz zur Tradition und auch zur durch die Verfassung gebotenen Neutralität. Es wird von einer Mehrheit abgelehnt.

 

  1. Keine Hoffnung auf den politisch-medialen Komplex

Viele Palästina-Bewegte hoffen darauf, dass der politisch-mediale Komplex doch etwas weicher werden würde angesichts der tragischen Ereignisse. Doch vor dieser Illusion müssen wir warnen.

Es mag kleinere Adaptionen geben, um den Glaubwürdigkeitsverlust zu minimieren. Doch bis heute ist das Establishment geschlossen für Israel und legitimiert seinen Völkermord. Selbst die SPÖ brauchte zwei Monate um leise für einen Waffenstillstand einzutreten, obwohl sie als Opposition mehr parlamentarische Narrenfreiheit hätte. Bisher gibt es keinen einzigen Parlamentsabgeordneten, der sich auf die Seite der Palästinenser gestellt hätte. In Medien, Kunst, Wissenschaft etc. fast das gleiche Bild.

Die herrschende Gruppe hat sich so fest wie nie an die wackelnde Washingtoner Weltordnung gebunden. Sie versucht aus der Not eine Tugend zu machen und sich im Sinne des vorauseilenden Gehorsams anzudienen. Gemischt mit einer identitären Mobilisierung („aufgeklärtes jüdisch-christliches Abendland“) und autoritären Wende glaubt sie damit, sich an der Macht halten zu können. Eine Zeit lang wird das wohl noch funktionieren, aber der Einflussverlust, bedingt durch vielerlei Faktoren, ist unübersehbar.

Das heißt, nur wenn aus Washington ein Linienwechsel kommt, wird dieser nachvollzogen werden. Dieser wird, wenn überhaupt, nur leichte Modifikationen bedeuten.

 

  1. Abnutzung des zionistischen Konsenses

Auch wenn offiziell am zionistischen Narrativ nicht gerüttelt wird und der ORF sich wie ein israelischer Militärsender anhört, so kann der Völkermord in Gaza ja dennoch nicht ganz versteckt werden. Und das hat natürlich Wirkung, um so mehr als die prozionistische Haltung nicht mit offen faschistischen oder rechten Argumenten verteidigt wird (wie in Israel), sondern mit linksliberalen Phrasen, die mit der Realität frontal zusammenstoßen.

Ein Beispiel für beginnende Risse ist das Hervortreten von Gruppen wie „Not in our Name“ oder den „Judeobolschewiener*innen“ mit starker Beteiligung von jüdischen Menschen, die sich vom Zionismus abwenden. Sie reihen sich in die Bewegung ein und nehmen regelmäßig auch an den Palästina-Demos teil. Das hat es seit vielen Jahren nicht gegeben.

Doch diese Abwendung ist langsam und noch immer begrenzt. Die historische Linke, die vor der Wende klar propalästinensisch war, bleibt abwesend. Sie ist praktisch verschwunden.

In dieser Phase geht es darum, jede einzelne Stimme, die den Mut aufbringt, sich gegen den Völkermord zu stellen, willkommen zu heißen und die Bewegung dadurch zu stärken.

 

  1. Waffenstillstand: Plattform der Intervention

In dieser Situation müssen wir in Rechnung stellen, dass die Straßenbewegung asynchron zu den Entwicklungen in der breiten Öffentlichkeit verläuft. Wir schlagen als politische Grundlage vor:

  1. Waffenstillstand sofort
  2. Kooperation mit Israel aufkündigen, insbesondere militärisch-polizeiliche
  3. verfassungsrechtlich gebotene Neutralität einhalten
  4. Meinungs- und Demonstrationsfreiheit wiederherstellen
  5. Frieden durch Gerechtigkeit

Wir müssen da die maximale Breite erreichen und auch Menschen einbeziehen, die noch keinen grundsätzlichen Bruch mit dem Zionismus vollzogen haben. Wir können und müssen die Forderung nach dem Rücktritt besonders exponierter Minister wie Schallenberg oder Karner oder auch des Kanzlers erheben. Gleichzeitig wissen wir, dass mit SPÖ oder FPÖ nichts grundsätzlich Besseres nachkommen wird. Darum kann man als Alternative ganz allgemein die Forderung nach einer Regierung der Neutralität und des Friedens andeuten.

 

  1. Historische Lösung: antikolonialer gemeinsamer Staat

Der Kolonialstaat Israel hat in Worten und Taten ganz klar gemacht, dass es niemals einen palästinensischen Staat an seiner Seite akzeptieren würde. Die Palästinenser als Nation müssen laut dem zionistischen Projekt vernichtet werden.

Nur der Westen hält verbal an der Chimäre der Zweistaatenlösung fest, unterstützt aber real Apartheid, Vertreibung und Völkermord ganz akut und konkret.

Es ist völlig klar, dass jeder Demokrat und jeder, der für die Menschenrechte für alle eintritt, den palästinensischen Widerstand gegen Kolonialismus und Imperialismus unterstützen muss. Das Vorbild ist natürlich Südafrikas Kampf gegen die Apartheid. Der palästinensische Widerstand reiht sich ein in die ganze Geschichte des Widerstands und der Befreiung von Kolonialismus, Imperialismus und Faschismus, ja aller Befreiungskämpfe vergangener Jahrhunderte. Jeder echte Antifaschist steht heute auf der Seite der Palästinenser und ihres Widerstands gegen die Besatzung.

In der breiten Bewegung treten wir für die einzig mögliche gerechte und friedensstiftende Lösung ein, nämlich ein Ende des Kolonialismus. Unser Programm:

  1. Der Widerstand des palästinensischen Volkes muss als seine Vertretung anerkannt werden, so wie es Kreisky seinerzeit mit der PLO vorgezeigt hat. Das schließt natürlich den Kampf gegen die Kriminalisierung des Widerstands und seiner politischen Unterstützer mit ein.
  2. Ein kolonialer Separatstaat geht gar nicht anders als mittels der Unterdrückung und Vernichtung der ursprünglichen Bevölkerung. Die einzige dauerhafte Lösung ist ein gemeinsamer selbstbestimmter Staat aller im historischen Palästina lebenden Menschen einschließlich der Nachfahren der vertriebenen arabischen Urbevölkerung, der nicht anders kann als antiimperialistisch zu sein. Proklamiertes Ziel der historischen Befreiungsbewegung sind gleiche Rechte für alle und damit Demokratie.

 

Willi Langthaler