Ein Appell gegen jüdische "Verräter"

Eine Gruppe von Rabbinern in Israel ruft dazu auf, keine Wohnungen an Araber und andere Nicht-Juden zu verkaufen oder zu vermieten. Von Hans-Christian Rößler

 

JERUSALEM, 17. Dezember. Ein Anruf genügt - dann zeichnet ein Anrufbeantworter anonyme Angaben zu Namen und Adressen von Juden auf, die an Araber Wohnungen vermieten oder verkaufen. Das Telefon wurde von einer Organisation namens Lehava eingerichtet, die nach eigenen Angaben gegen die Assimilation von Juden kämpft. Treffe der Vorwurf zu, so die Organisation, werde man die Namen der jüdischen Vermieter oder Verkäufer veröffentlichen. Eli Tzvieli aus der nordisraelischen Stadt Safad wurde schon auf ähnliche Weise an den Pranger gestellt. An der Haustür des 89 Jahre alten Holocaust-Überlebenden brachten radikale Juden vor einiger Zeit Zettel an, auf denen er als "Verräter" der jüdischen Religion beschimpft wurde. Tzvieli berichtete zudem von Drohungen, sein Haus in Brand zu setzen, in dem er Zimmer an drei arabische Studenten vermietet hat. Und auf Postern in den Straßen von Safad heißt es: "Wacht auf, bevor es zu spät ist." Die jungen arabischen Israelis, die in der Stadt studieren, werden darin mit Schlangen verglichen, die versuchen, jüdische Mädchen zu verführen.

 

Vor zwei Monaten hatten Rabbi Schmuel Elijahu aus Safad und 17 weitere Rabbiner dazu aufgerufen, nicht mehr an Araber zu vermieten oder ihnen Häuser zu verkaufen. Das verbiete jüdisches Religionsrecht. Notfalls sollte man Juden boykottieren, die sich nicht daran halten. Anfangs wurde Elijahus Aufruf in Israel noch als eine lokale Angelegenheit abgetan, doch Safad war nur der Anfang: Vergangene Woche wandten sich fast 50 weitere Rabbiner in einem Brief an die Öffentlichkeit, in dem das Verbot auf alle Nicht-Juden ausgedehnt wurde.

 

Dieses Mal ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. Ministerpräsident Netanjahu stellte klar, die Vorstellungen der Rabbiner seien mit der israelischen Demokratie unvereinbar. Parlamentspräsident Rivlin sprach von "törichten" Rabbinern, die sich an der israelischen Gesellschaft versündigten. "Wenn Ähnliches über Juden im Ausland gesagt würde, gäbe es in Israel eine Welle der Empörung", sagte Rivlin. Auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wies den Aufruf der Rabbiner zurück: Juden wüssten aus eigener leidvoller Erfahrung, wie es ist, ausgeschlossen und seiner Rechte beraubt zu werden. Der arabische Knesset-Abgeordnete Tibi bezeichnete die Unterzeichner des Appells als "Skinhead-Rabbis". Der israelische Generalstaatsanwalt lässt juristische Schritte gegen die Unterzeichner prüfen, die zum Teil städtische Angestellte sind.

 

Einwände kommen selbst von nationalreligiösen Rabbinern. Aharon Lichtenstein zum Beispiel, der die Har-Etzion-Jeschiva leitet, äußerte Zweifel, ob der Appell angesichts dieser "zentralen Frage" theologisch ausreichend begründet sei. Rabbi Haim Druckman schlägt vor, dass das Verbot nicht für alle Nicht-Juden gelten solle, sondern nur für diejenigen, "die Israel hassen". Die liberalen "Rabbiner gegen religiöse Diskriminierung" sehen keinen Raum für Kompromisse. Sie werfen den Unterstützern des Appells vor, "Gottes Namen zu entheiligen", und haben schon mehr als 700 Unterschriften gesammelt.

 

Doch die Religionsgelehrten, die sich gegen ihre arabischen Mitbürger wenden, vertreten offenbar keine Minderheitenmeinung. Schon seit einiger Zeit debattiert man in Israel darüber, was den jüdischen Charakter des Staats ausmacht und welchen Platz die arabische Minderheit einnehmen soll, die immerhin zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung stellt. In einer Umfrage des Onlinedienstes Ynet unterstützen 55 Prozent der befragten jüdischen Israelis den Aufruf der Rabbiner, nicht an Araber oder andere Nicht-Juden zu vermieten. Selbst unter säkularen Israelis schließen sich 41 Prozent dieser Aufforderung an.

 

Die wachsende Skepsis gegenüber den arabischen Bürgern Israels zeigte schon die jüngste Ausgabe des "Demokratie-Index" des Israelischen Demokratie-Instituts. Demnach sind 53 Prozent der jüdischen Israelis dafür, dass die Regierung Araber dazu ermutigen sollte, aus Israel auszuwandern. Nur 51 Prozent halten es für richtig, dass arabische Israelis die gleichen Rechte haben wie die jüdischen Staatsbürger. Mehr als 80 Prozent verlangen, dass wichtige politische Entscheidungen nur die jüdische Mehrheit treffen dürfe. "Heute trauen sich Menschen in Israel Meinungen auszusprechen, für die sie sich früher geschämt hätten", sagt die Meinungsforscherin Tamar Hermann, die die Demokratie-Studie erstellt hat.