Weckruf für die deutsche Linke

Quelle: http://www.jungewelt.de/2014/08-01/039.php

 

01.08.2014 / Inland / Seite 5

Von Claudia Wrobel
 

 

 

Das Sprachengewirr auf dem Heinrichplatz in Berlin-Kreuzberg war am Mittwoch abend unüberhörbar. Dies bezeugte, daß Menschen vieler verschiedener Nationalitäten einem Aufruf in der Hauptstadt lebender Israelis zu einer Demonstration gegen den Angriff auf den Gazastreifen gefolgt waren. Diese habe laut Aufruf das Ziel, »als israelische Staatsbürger ihre Bedenken und Opposition zum Gaza-Angriff, des erschreckenden Verlusts an Menschenleben, der Zerstörung in Gaza, aber auch der Angst und Sorge um ihre Familien in Israel zu äußern«. Die Kundgebung wurde begleitet von Menschen, die Schilder mit Aufschriften in englisch, deutsch, hebräisch und arabisch trugen: »Bekämpft Antisemitismus – befreit Gaza« oder »Ich habe einen Traum: gleiche Rechte für Palästinenser und Juden«.

 

 

Der aus Israel stammende Friedensaktivist Yossi Bartal erläuterte, warum solch eine Aktion notwendig geworden sei: »Während unsere palästinensischen Freunde auf Friedensdemos diffamiert wurden, haben deutsche Linke dazu geschwiegen.« Dabei müsse gerade die Friedensbewegung hierzulande Stellung gegen diesen Krieg beziehen, da die Bundesregierung den israelischen Krieg zu großen Teilen finanziere. Diesen Weckruf wollten sie als israelische Staatsbürger nun einläuten, da sie keine Angst vor dem Vorwurf des Antisemitismus haben müßten. So war auch eine vielfach gerufene Parole während der Kundgebung und der anschließenden Demonstration: »Good morning, german left, your silence is our death.« (»guten Morgen, deutsche Linke, euer Schweigen ist unser Tod«). Bartal sprach sich außerdem gegen die »nationalistische und militaristische Propaganda« aus, die mittlerweile die israelische Öffentlichkeit bestimme: »Wir sind entsetzt, Zeugen der öffentlichen und staatlich sanktionierten Verfolgung und des Zum-Schweigen-Bringens kritischer Stimmen zu werden.« Dabei sei derartige Kritik, »auch in Deutschland, legitim und notwendig«. Die Trennlinie zwischen dieser und antisemitischen Äußerungen müsse klar gezogen werden.
 

 

 

Auch in Berlin protestierende Flüchtlinge solidarisierten sich. Turgay Ulu, türkischer Journalist und als Flüchtlingsaktivist seit Monaten in der Hauptstadt aktiv, zog Parallelen zwischen dem israelischen Krieg gegen die Hamas und der Unterdrückung der Kurden in der Türkei. »Europäische Länder finanzieren die Waffen, die gegen Palästina eingesetzt werden«, so Ulu, und sie würden auch gegen die Repression im kurdischen Rojava nicht intervenieren. Solche Konflikte dienten weltweit ihren Kapitalinteressen.

 

 

Die Organisatoren der Demonstration riefen zu einem Ende des Krieges und der Belagerung Gazas auf. Dabei sollten die palästinensischen Bedingungen für einen Waffenstillstand akzeptiert werden. Außerdem forderten sie einen »öffentlichen und nichtantisemitisch geführten Diskurs in Deutschland über die Politik und Handlungen der israelischen Regierung« und das Ende der militärischen oder politischen Unterstützung durch die Regierung der Bundesrepublik, die »automatisch für die israelische Seite« garantiert werde. Zur Kundgebung kamen zu Beginn rund 200 Menschen, allerdings wuchs die anschließende Demonstration schnell an, so daß gegen Ende mehr als doppelt so viele Menschen auf der Straße waren.