Remapping Palestine - Historische und Geographische Entwicklungen, aktuelle Implikationen und Perspektiven im Nahost-Konflikt

Als sich vor über 60 Jahren im Schatten der Nachkriegszeit eine der größten Flüchtlingstragödien der Gegenwartsgeschichte ereignete, erarbeitete die neu gegründete UNO, nicht zuletzt als Konsequenz aus den Verbrechen des Nationalsozialismus und den mörderischen Folgen des 2.Weltkriegs die Charta der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zur gleichen Zeit aber wurden eben diese Rechte im ehemals britisch-kolonialen Protektorat Palästina tausendfach ignoriert, verletzt und gebrochen.

 

Seit über 60 Jahren ringen PalästinenserInnen seither zunächst für das Selbstverständlichste: die Anerkennung ihrer Existenz, die Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts und die Anerkennung ihrer Rechte.

 

Jahrzehntelang wurden ihre Stimmen überhört, palästinensische und arabische Dokumentationen der ethnischen Säuberungen von 1948, Schilderungen, Berichte und Forschungsarbeiten marginalisiert, nicht zur Kenntnis genommen oder aber als modernes orientalisches Märchen abgetan. Ihre Einwände und ihre Anfechtungen zur gängigen Interpretation der Staatswerdung Israels fanden kaum oder gar keine Beachtung im westlichen Diskurs, gleich ob vor der UNO, in den Medien, im wissenschaftlichen Betrieb oder in der westlichen Öffentlichkeit. Als sich jedoch 1987 im Zuge der Ersten Intifada PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten erhoben und ein jahrelanger Volksaufstand gegen die Besatzung der Welt die Existenz des Unrechts vor Augen führte, Israels Wirtschaft in Bedrängnis brachte, war die internationale Gemeinschaft schließlich zum Handeln gezwungen. Im Zuge des darauffolgenden Osloer Friedensprozess, bildete sich in Israel selbst erstmals eine kritische historiographische Schule, deren Vertreter als "Neuen Historiker", als Postzionisten bekannt wurden. In erstmals geöffneten israelischen Militärarchiven fanden Sie Dokumente, Beweise und Belege dafür, dass Hunderttausende PalästinenserInnen im Vorfeld der Staatsgründung Israels von den paramilitärischen Vorläuferorganisation der IDF ermordet, terrorisiert und vertrieben wurden, ihre Dörfer überfallen, zerstört oder als ethnisch gesäuberte Gebiete dem neugegründeten jüdischen Staat einverleibt wurden. Manche dieser Historiker konnten nachweisen, dass es sich um systematisch geplante und umgesetzte Vertreibungen gehandelt hatte. Doch erst durch die Forschungsergebnisse dieser "Neuen Historiker" - so scheint es - gelangten diese Erkenntnisse und Geschichtsinterpretationen in den Diskurs zum Nahost-Konflikt, erst durch die Bestätigung und Beglaubigung durch nicht-arabische Wissenschafter - genauer gesagt: "weiße" Wissenschafter - drangen die Ereignisse der Nakba, die Vertreibung von mehr als 700.000 PalästinenserInnen und die Existenz der Besatzung und des Schicksals der palästinensischen Flüchtlinge ins Bewusstsein der westlichen Welt.

 

Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Bedingungen können Vertriebene, Flüchtlinge, Marginalisierte ihre eigene Geschichte nachzeichnen, wie und unter welchen Voraussetzungen werden ihre Berichte, ihre Narrative und ihre Historiographie gehört und anerkannt?

 

"Der am meisten demoralisierende Aspekt des Zionistisch-Palästinensischen Konflikts", schrieb Edward Said im Jahr 2000, sei, "die völlige Gegensätzlichkeit zwischen den israelischen und palästinensischen Mainstream-Standpunkten". Es gäbe, so Said, "einfach keinen gemeinsamen Nenner, keine gemeinsamen Narrative, kein mögliches Feld einer wirklichen Schlichtung". Saids Vorschlag, palästinensische und israelische HistorikerInnen gemeinsam die Geschichte aufzuarbeiten, scheint bis heute unmöglich.

 

Mit dem Symposium "Remapping Palestine" setzt der Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative die Veranstaltungsreihe zum israelisch-palästinensischen Konflikt fort und lädt israelische, arabische und europäische WissenschafterInnen und NGO-AktivistInnen ein, die Auseinandersetzung zu den historischen und geographischen Entwicklungen und deren aktuelle Implikationen und Perspektiven im Nahost-Konflikt zu diskutieren und zu vertiefen. Wesentliche Themen sind dabei unter anderem: die historischen Linien und Strukturen des Konflikts in Israel/Palästina; die gegenwärtige Situation in den besetzten Gebieten, insbesondere in der Westbank; die Rezeption des israelisch-palästinensischen Konflikt im Westen; die aktuelle GeldgeberInnenpolitik und die Perspektiven einer gerechten und dauerhaften Friedenslösung in Palästina/Israel.Remapping Palestine – Historische und Geographische Entwicklungen, aktuelle Implikationen und Perspektiven im Nahost-Konflikt

 

Symposium: 19. bis 21. Oktober 2011

 

Podiumsdiskussionen, Workshops, Ausstellung, Konzert

 

Ort: Albert-Schweitzer-Haus, Schwarzspanierstraße 13, 1090 Wien

Programm: 

 

Mittwoch, 19. Oktober 2011 

 

18.00 – 18.45 Uhr | Eröffnung und Begrüßung 

19.00 – 21.30 Uhr: The Ongoing Nakba – Geschichte und Struktur einer 100jährigen Kolonialisierung Vorträge und Podiumsdiskussion mit:

 

·         Joseph Massad, Dozent an der New Yorker Columbia University für "Modern Arab Politics and Intellectual History", USA

 

·         Salman Abu Sitta, Gründer und Präsident der Palestine Land Society, Großbritannien 

 

Bestimmendes Selbstverständnis hegemonialer Wissenschaften in Europa und den USA ist das Prinzip der Objektivität. Die „historische Wahrheitsfindung“ im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikt kann daher – so scheinen es die gängigen Diskurse zu suggerieren – nicht durch die Einbeziehung palästinensischer Narrative ergänzt werden, da diese „parteiisch“ und „subjektiv“ wären, die israelischen Narrative hingegen den Kriterien objektiver Wissenschaft entsprächen. Die reale Vertreibung der PalästinenserInnen und die militärische Landnahme ging konsequenterweise zuerst mit der Negierung ihrer Existenz einher. Herzl erfand den Mythos vom „Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“, Golda Meir meinte noch, dass es „so etwas wie ein palästinensisches Volk“ nicht gäbe und der amtierende israelische Außenminister Lieberman forderte, alle arabischen Knesset-Abgeordneten hinrichten zu lassen und alle in Israel verbliebenen PalästinenserInnen zu deportieren. Liebermans Vorschläge sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass die Negierung der historischen Nakba bis heute dazu führt, dass die unaufgearbeitete Geschichte die Gegenwart einholt und die fortgesetzte Nakba die palästinensische Bevölkerung bedroht.

 

Bis heute sind die Debatten insbesondere auch in Europa von Stereotypen gegenüber den palästinensischen Positionen geprägt. Inwieweit prägen Diskurse Fakten und Realitäten und umgekehrt Realitäten Diskurse? 21.30 – 22.00 Uhr: Buffet 

 

Donnerstag, 20. Oktober 2011 

 

14.00 – 16.00 Uhr

 

Workshop: Die Konstruktion orientalistischer Fremdheit und okzidentaler Eigenheit am Beispiel des Nahostkonflikts  

 

In den letzten Jahrzehnten setzten sich zahlreiche ambitionierte und beachtenswerte Projekte und Initiativen für ein für friedvolles Miteinander zwischen Israelis und PalästinenserInnen ein. Insbesondere inter/kulturelle Initiativen gelten dabei als mögliche Brücke der Verständigung. In einem Workshop wollen wir uns anhand einiger Beispiele die Herausforderungen und Hindernisse eines interkulturellen Dialogs zwischen PalästinenserInnen und Israelis erarbeiten. 

 

16.00 – 16.30 Uhr: Kaffeepause  16.30 – 18.30 Uhr: Vortrag und Workshop: Perspektiven und Hindernisse einer Gedenkarbeit zur Nakba in Israel

 

Umar al-Ghubari – NGO „Zochrot“ 

 

Die israelische NGO “Zochrot” arbeitet seit 2002 mittels Sensibilisierungskampagnen innerhalb der jüdisch-israelischen Gesellschaft für eine Geschichtsaufarbeitung in Israel/Palästina. Mittels Aktivismus, Workshops und Gedenkarbeit strebt Zochrot die Bewusstseinsbildung in Israel über die Vertreibungen und die palästinensische Nakba an. Ihr Ziel ist es, die Nakba zu „hebräisieren“ und die ethnischen Säuberungen in Palästina in die Diskurse innerhalb Israels und der jüdischen Gesellschaft hineinzutragen, mithin die ersten Voraussetzungen für einen zukünftigen Frieden zu schaffen. Siehe auch: www.zochrot.org.  

 

18.30 – 19.00 Uhr: Pause 

 

19.00 – 20.00 Uhr: Vortrag: Mapping Palestine: for its Survival or its destruction?

 

Präsentation des “Atlas of Palestine 1917- 1966”.

 

Salman Abu Sitta 

 

Der palästinensische Wissenschafter Salman Abu Sitta forscht seit über 40 Jahren zur palästinensischen Geschichte vor, während und nach der Staatsgründung Israels. Dabei dokumentierte er nicht nur die Nakba, sondern zeichnet ein umfassendes Bild der palästinensischen Gesellschaft vom Anfang des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Sein jüngstes Buch „Atlas of Palestine“ (re)konstruiert dabei ausgehend von britischen, zionistischen und arabischen Quellen ein Land, das bis heute offiziell nicht existiert. 

 

20.00 – 20.30 Uhr: Pause 

 

20.30 – 22.00 Uhr: Podiumsdiskussion: Das palästinensische Rückkehrrecht aus unterschiedlichen Perspektiven

 

Mit:

 

·         Salman Abu Sitta

 

·         Ali Hweidi (General secretary of the Palestinian NGO „Thabit“, Lebanon)

 

·         Umar al-Ghubari 

 

Mehr als 4 Millionen palästinensische Flüchtlinge sind heute bei der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) registriert, weitere Zehntausende gelten als unregistrierte oder sogenannte Non-ID-Flüchtlinge, die von UNRWA-Leistungen ausgeschlossen sind. Mehr als eine Million PalästinenserInnen leben in Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon und Syrien. Das Rückkehrrecht ist für viele PalästinenserInnen eine existenzielle Frage, da es die im Krieg 1948 erlittenen Vertreibungen, Enteignung und historische Ungerechtigkeit verkörpert. Seit 1948 wurde das Recht auf Rückkehr in der Resolution 194 der UNO-Generalversammlung verbrieft. Dennoch wurde es bei allen bisher präsentierten Friedensinitiativen ausgespart und vertagt. Ist das Recht auf Rückkehr eine realisierbare Option? Ist das Rückkehrrecht Hindernis oder Voraussetzung für einen dauerhaften und gerechten Frieden in Israel/Palästina?

 

Freitag, 21. Oktober 2011 

 

14.00 – 16.00 Uhr: Vortrag und Workshop: Zionismus und Raumplanung am Beispiel Jerusalems/Al Quds

 

·         Viktoria Waltz (Architektin, Expertin in Raumplanung, Deutschland) 

 

Die Schaffung eines Staates mit jüdischer Bevölkerungsmehrheit – wenn nicht eines ethnisch gesäuberten jüdischen Staates – war Ziel der zionistischen GründerInnen Israels. Mit den Vertreibungen 1948, und in weiterer Folge der Besatzung Rumpfpalästinas 1967, wurde dieses Ziel ein Stück weit realisiert. Dennoch lebt eine palästinensische Minderheit in Israel als BürgerInnen zweiter Klasse und in den besetzten Gebieten Millionen PalästinenserInnen unter israelischer Besatzung. Die israelische Bürokratie setzt zahlreiche Maßnahmen mittels Siedlungsbau, dem Bau der Trennungsmauer oder israelischer Bau – und Planungsgesetze palästinensisches Land zu enteignen und die Vertreibungen in einem „legalisierten“ Rahmen fortzusetzen. In ihrem Vortrag und Workshop gibt Viktoria Waltz, ehemalige Dozentin an der Fakultät Raumplanung der Universität Dortmund und ehemalige Regierungsberaterin des palästinensischen Wohnbauministeriums in Gaza und Ramallah Einblicke in die raumplanerischen Ein- und Ausbürgerungsmaßnahmen des israelischen Staates. 

 

16.00 – 16.30 Uhr: Kaffeepause 

16.30 – 18.00 Uhr: Vorträge und Podiumsdiskussion:

“NGOisierung” in der Westbank und in den palästinensischen Flüchtlingslagern: Selektive westliche GeldgeberInnen-Politik und die Rolle von NGOs.

 

Mit:

 

·         Fawaz Hammad – Dozent für Gesundheitsökonomie an der Arab American University Jenin

 

·         Ali Hweidi

 

·         Viktoria Waltz 

 

Non-Profit-Organisationen und Non-Government-Organisationen spielen in vielen Gesellschaften eine immer wichtiger werdende Rolle um mangelnde staatliche Agenden zu kompensieren, zu erweitern oder gar zu ersetzen. In den besetzten Gebieten und in den palästinensischen Flüchtlingslagern fällt NGOs die wesentliche Aufgabe zu, fehlende Sozialleistungen, Bildungs- und Empowering-Möglichkeiten sowie andere sozialpolitische Projekte und Initiativen zu schaffen. Oftmals sind NGOs dabei auf Gelder aus öffentlicher Hand angewiesen. Am Beispiels Palästinas zeigt sich jedoch auch, dass die US-amerikanischen und europäischen Richtlinien zur Vergabe von entwicklungspolitischen Hilfsgeldern manchmal zweifelhafte Ergebnisse zeitigen und nicht selten politisch motivierte Einflussnahmen eigenständige palästinensische Projekte unterbinden. Inwieweit erreicht die westliche GeldgeberInnen-Politik ihre deklarierten Intentionen, an welchen Punkten verfehlt sie das Ziel und inwieweit verfolgen NGOs bisweilen eine interventionistische westliche Politik stellvertretend für ihre Regierungen? 

 

18.00 – 18.30 Uhr: Pause 

 

18.30 – 20.00 Uhr Vortrag: Out of the Frame – Der Kampf um die akademische Freiheit am Beispiel des Nahostkonflikts

 

Ilan Pappé (Israelischer Historiker, Autor und Professor an der Universität Exeter) 

 

Kaum ein anderes Gebiet zeitgenössischer historischer Forschung wird derart erbittert umkämpft, wie die Erforschung der Geschehnisse vor, während und nach Gründung des Staates Israel. Der hegemonialen westlichen Historiographie ist der Begriff der Nakba bis heute nahezu unbekannt. Ilan Pappé zählt als israelischer Historiker zu der Generation israelischer Wissenschafter, die mit ihren Forschungsergebnissen weltbekannt wurden. In seinem jüngsten Buch „Wissenschaft als Herrschaftsinstrument“ illustriert Pappé den schwierigen Weg in einer hegemonialen akademischen Wissensproduktion neue Impulse zu setzen, die den Keim einer friedlichen Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts bergen könnten. 

 

20.15 – 22.00 Uhr: Konzert mit Alp Bora

 

Im europäischen Istanbul geboren, im anatolischen Ankara und im orientalischen Bagdad aufgewachsen, fand Musiker Alp Bora 1998 seine wahre Heimat in Wien. Mit seinen Liedern gibt Alp Bora einen großartigen Einblick in die kleinen Volkslieder, die man in Anatolien schon als Kind von Mutter und Großmutter fast täglich zu hören bekam: Bei der Hausarbeit, beim Tee nach dem Essen oder als Gute-Nacht-Geschichte. Und man schenkt ihnen noch heute gerne Gehör. 

 

Dabka-Tanzgruppe 

 

Dabka ist ein Folkloretanz, der in diversen Ländern des Nahen Ostens um das östliche Mittelmeer getanzt wird, insbesondere auch in Palästina. Bis heute ist dieser schwer zu erlernende Tanz für viele PalästinenserInnen zum Symbol für die Verbindung zu Palästina geworden  

 

19. – 20. Oktober 2011: Ausstellung palästinensischer Handwerkskunst – präsentiert von der NGO “Thabit”, Libanon 

 

Konferenzsprache: Englisch, Deutsch Eine Veranstaltung von: Dar al Janub – Verein für antirassistische und friedenspolitische Initiative

 

Details und aktuellstes Programm: www.dar-al-janub.net/Remapping_Palestine

 

Gefördert von:

 

Österreichische Entwicklungszusammenarbeit

 

Stadt Wien – Wien Kultur 

 

In Kooperation mit:

 

Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen

 

Pax Christi Österreich

 

Anna Lindh Foundation Austria

 

Koordinationsforum zur Unterstützung Palästinas