Achtung, keine Satire -- sondern bitterer Ernst!!

 Im klassischen 5-aktigen Drama, so erinnern wir uns aus unserem Deutschunterricht, enthält der 4. Akt die scheinbare Wendung zum Guten und der 5. Akt bringt die Katastrophe. Beide Akte erlebten wir am Freitag, 19.6.2009, in Moabit.

 

Die Ablehnung aller Beweisanträge der Verteidigung ohne Begründung war wohl noch Teil von Akt 3 (Krisis).

 

Doch dann die "scheinbare Wendung": die Plädoyers der beiden Anwälte, die Stellungnahme des Angeklagten da schien es vielen der Zuschauer, nun könne nur noch ein Freispruch erfolgen: zu dünn waren all die Anklagepunkte. Und die Forderung des Staatsanwaltes, es müsse bestraft werden, da der Angeklagte sich uneinsichtig gezeigt habe und folglich die Gefahr einer Tatwiederholung bestehe, empfindet das Publikum als einen Teil der Absurdität des Ganzen: so etwas kann ein Gericht doch nicht ernst nehmen!

 

Und dann das schuldig in allen Punkten der Anklage.

 

Die Aufführung nahm die klassische Charakterisierung des 5. Aktes eines Dramas als Katastrophe wörtlich. Was da gegeben wurde war eine Katastrophe für Alle:

 

Es war eine Katastrophe für den Staat, vertreten durch den Staats-Anwalt: der Staat zeigte sich hier nicht als die Institution, die Grundrechte seiner Bürger wahrt, sondern als Exekutor einer von außen an ihn herangetragenen Raison.

 

Es war eine Katastrophe für die Rechtsprechung: es wurde nicht erwogen, abgewogen und dann erst ge- und verurteilt. Nein, es wurde aus allem, was hier im kurzen 5. Akt gesagt und getan wurde, deutlich: hier wurde ein vorgefasstes Urteil gesprochen, nicht eines aus den Erwägungen eines fairen, gerechten Für und Wider in einem echten Prozess.

 

Es war eine Katastrophe für alle Beteiligten:

·                     Richterin und Staatsanwalt  ließen sich reduzieren auf eine falsch verstandene Funktionalität im Sinne eines höheren Gutes eben der Staatsraison.

 

·                     der Verteidiger wurde durch die Ablehnung fast aller seiner Beweisanträge daran gehindert, seiner Aufgabe angemessen nachzukommen. Ihm blieb nur das ohnmächtige Bewusstsein, sich einer unheiligen Allianz von Gericht und Staatsanwaltschaft gegenüber zu sehen, die auch durch juristische Argumente nicht aufzubrechen war.

 

·                     die Zuhörer wurden mit einem Urteil konfrontiert, das keinerlei Anzeichen für die Urteilsfähigkeit, nämlich für die Fähigkeit, Argumente zu hören und abzuwägen, des Gerichts enthielt: wenn Urteil und seine (mündliche, wieder akustisch nur schwer verständliche) Begründung keinerlei Hinweise auf die Beschäftigung mit den Argumenten und Einlassungen von Verteidiger und Angeklagten enthalten, so bleibt für den Zuhörer vom Urteil nur das Vor-Urteil. Die Rezensenten hatten eine Gänsehaut bei der Vorstellung, selbst einmal vor einem solchen Gericht stehen zu müssen und sie fragten sich, ob die Gänsehaut im Sinne einer Generalprävention beabsichtigt war.

 

·                     für den Angeklagten, der weiterhin der Meinung war, seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt zu haben mit seinem Protest und dem in keiner Weise klar gemacht werden konnte, dass die von ihm gewählte spezielle Form des Protestes illegal war; ihm verblieb aus den Worten des Staatsanwaltes, dass er die Gefahr der Wiederholung der Tat sehe (offenbar erwartet der Staatsanwalt, dass sich die Situation eines Massakers durch die israelische Armee jederzeit wiederholen kann, durch welche Einschätzung er ein unerwartet hohes Maß an Einsicht in die Verhältnisse in Nahost erkennen ließ) und nachdem ihm in keiner einsehbaren Weise verdeutlicht worden war, worin nun das Besondere in seiner Form des Protestes liege (alle diesbezüglichen Anklagepunkte waren ja vom Verteidiger als irrelevant zurückgewiesen worden), lediglich die Schlussfolgerung, dass er sich in Zukunft mit Protesten zurückzuhalten habe. Er lebt, lernt und arbeitet seit über 30 Jahren in Deutschland, er hat seine Prägung, sein politisches Bewusstwerden hier in Deutschland erfahren, und jetzt zeigt dieser Staat, für dessen Zukunft er sich einsetzt ein ganz anderes Gesicht, eine rachsüchtige Fratze gegen den Menschen mit Migrationshintergrund, der eine durch die Mainstream-Medien definierte Grenze politischer Korrektheit überschritten hatte.

 

Die Rezensenten fragen sich, was hier eigentlich gespielt wurde. Und vor allem: wer führte Regie? Wir weigern uns, der Annahme zu folgen, es gebe einen unbekannten Regisseur, der im Hintergrund die Fäden gezogen habe, haben wir doch eine unabhängige Rechtsprechung.

 

Nein, wir sind keine Verschwörungstheoretiker. Auch die Vorstellung, hier solle ganz gezielt ein Exempel statuiert werden, um Kritiker an Israel oder sogar allgemein Kriegskritiker abzuschrecken, kann einem zwar kommen (insbesondere angesichts der Äußerung des Staatsanwaltes in seinem Plädoyer über eine Wiederholungsgefahr), doch wir weisen sie zurück. Wir wollen unseren Glauben an die Unabhängigkeit der Justiz behalten, eine der Grundlagen unseres Mutes, für Menschenrechte einzutreten.

 

Die Rezensenten sind rat- aber nicht mutlos.

 

Wir warten am Bühnenausgang auf Issa: er ist auch erschöpft, aber auch nicht mutlos. Er hat ja die Rolle sicher in der nächsten Aufführung!

Als Rezensenten wieder Renate Dörfel-Kelletat und Frank Dörfel, Berlin

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Und nun zur Beschreibung des Stückes selbst (Textbuch, Regie und Improvisation ließen sich wieder nicht trennen) einige Notizen von der Verhandlung gegen Issa am 19.6.2009 bruchstückhaft, da die Rezensenten angesichts der Fülle der Geschehnisse auf, vor und hinter der Bühne manchmal mit dem Aufzeichnen nicht folgen konnten und da manche der Akteure es offenbar darauf angelegt hatte, die Zuhörer vom Verstehen auszuschließen.

 

Die Verhandlung und ihre Unterbrechungen:Zu Beginn der Verhandlung, um 10:03, teilt die Richterin mit, alle zusätzlichen Beweisanträge der Verteidigung aus der Verhandlung vom 16.6. seien für dieses Verfahren belanglos und deshalb abgelehnt. Sie verweist auf StPO §420,4, nach dem im Verfahren der Richter über die Zulassung von Beweisanträgen bestimmt.

 

Der Verteidiger beantragt eine etwa 10-minütige Unterbrechung, um seine Gegenvorstellung vorbereiten zu können. Wir verlassen den Saal.

 

Um 10:15 erfolgt die Gegenvorstellung des Verteidigers: Eine pauschale Ablehnung von Beweisanträgen ohne Begründung ist wegen StPO §244,2 unbegründet. Er zitiert aus einem Handkommentar (Meyer-Geßler): Die Ablehnung des Antrags erfordere einen begründeten Gerichtsbeschluss. Belanglosigkeit müsse mit tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bewiesen werden. Die Verteidigung erhebt Gegenvorstellungen, weil die Begründung des Ablehnungsbeschlusses die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen, aus denen der Beweisantrag abgelehnt werde, nicht erkennen lasse. Es sei in der Ablehnung nicht einmal angegeben, ob diese auf tatsächlichen oder rechtlichen Gründen beruht.

 

Die Richterin erklärt, sie habe diese Gegenvorstellung zur Kenntnis genommen, sie halte eine Begründung nicht für erforderlich und bleibe bei der Ablehnung.

 

Der Verteidiger fragt die Richterin, ob das Gericht auch der Meinung des Staatsanwaltes sei, dass alle Menschen arabischen Glaubens den Davidstern als religiöses Symbol sehen? Der Staatsanwalt interveniert und erklärt, ein solcher Ausforschungsantrag sei unzulässig. Der Verteidiger weist darauf hin, er halte diese Klärung aus Gründen der Prozessökonomie für nötig. Der Staatsanwalt wiederholt, lautstark, unaufgefordert: Das Gericht ist nicht verpflichtet.

 

Die Richterin wirkt heute entschlossener, die leichte Rötung im Gesicht deutet auf Erregung, ja auf Druck hin, unter dem sie sich fühlt. Sogar ihre Stimme wird gelegentlich laut.  Einmal ermahnt sie die still zuhörenden Besucher zur Ruhe, obwohl wir keinerlei Unruhe haben erkennen können.

 

Die Richterin weist die Frage zurück.

 

Der Verteidiger bittet um eine Unterbrechung, um nun notwendig gewordene weitere Beweisanträge vorbereiten zu können. Auf die Frage der Richterin erklärt er, dass er eine halbe Stunde brauchen werde, sie gesteht lediglich eine 20-minütige Unterbrechung zu.

 

11:26 wird die Verhandlung fortgesetzt mit zwei Beweisanträgen der Verteidigung:

 

Das Gericht möge als Zeugen Prof. Ruf (Uni Kassel)  zum Thema arabischer Glauben und Prof. Rolf Verleger (Uni Lübeck) zum Thema Davidstern als jüdisches Glaubenssymbol laden.

 

Wieder Unterbrechung, diesmal weil die Richterin über diese Beweisanträge entscheiden muss. Das Publikum darf diesmal im Saal bleiben. Als Gespräche im Publikum aufkommen, fordert der Staatsanwalt lautstark zur Ruhe auf. Der Verteidiger weist ebenfalls lautstark darauf hin, dass die Verhandlung unterbrochen sei und deshalb keine Ruhepflicht gegeben sei, der Staatsanwalt kontert lautstark, das Publikum schweigt verschreckt.

 

Um 11:35 verkündet die Richterin, dass die Beweisanträge abgelehnt seien. Der Verteidiger erklärt, dass auch dieser Ablehnungsbeschluss den gesetzlichen Anforderungen nicht entspreche.  Die Richterin: das Gericht bleibt bei seinem Beschluss.

 

Es folgt die Verlesung des Bundeszentralregisterauszuges er enthält keine Eintragungen zu Issa.

 

Plädoyer des Staatsanwaltes:In unglaublicher Schnelligkeit, ohne auch nur den Versuch, das von ihm Gesagte den Hörern zu vermitteln, wiederholt er die Anschuldigungen, als hätte die Verhandlung nicht stattgefunden.

 

Aus dem weitgehend unverständlich bleibenden Sprachbrei (ein Mitschreiben ist unmöglich, Notizen sind auch kaum machbar) hier einige Brocken, die sich notieren ließen:

 

Der Davidstern symbolisiere alle Juden, so dass der Angeklagte mit der Verbindung von Davidstern und Hakenkreuz Judentum und Faschismus gleichgesetzt habe, wo doch gerade in Deutschland angesichts seiner Geschichte die Juden sehr, sehr schützenswert seien.

 

Wie hätte wohl eine (fiktive) Gruppe, Berlin besuchender Rabbiner aus Israel auf so ein Plakat reagiert: sie hätten daraus schließen müssen, es geht wieder los (Anmerkung der Rezensenten: wir liefen genau bei dieser Demo neben einem Rabbiner aus Jerusalem, der sich eben wegen der faschistoiden Entwicklung in Israel den demonstrierenden Palästinensern angeschlossen hatte und uns dies auch genau so erläuterte wie schade, dass die Regie Zwischenrufe oder gar Wortmeldung aus dem Publikum nicht vorsieht  dies hätten wir sehr einfach zurückweisen können, wenn auch nur mit einem Rabbi und nicht mit einer ganzen Gruppe.)

 

Die Hamas bringe in Israel schwangere Frauen und Kinder um, doch dagegen demonstriere der Angeklagte nicht.

 

Dass auch im Fernsehen eine Verbindung von Hakenkreuz und Davidstern gezeigt worden sei, gebe keinerlei Recht, dies nachzumachen. Und hier folgt eine Begründung, die sowohl für den Mangel an Denkvermögen beim Staatsanwalt ein beredtes Zeugnis ablegt als auch für sein Verhältnis zu Menschen mit Migrationshintergrund: im Fernsehen sei ja auch gezeigt worden, wie zwei junge Männer mit Migrationshintergrund in der Münchener U-Bahn einen alten Mann angegriffen hätten, und daraus könne man ja auch nicht das Recht ableiten, dies nachzumachen.  (Dies ist nun im gegebenen Zusammenhang völliger Unsinn, aber es entlarvt: das Argument würde nur Sinn machen, wenn es gälte, dem Angeklagten nachzuweisen, er habe aus dem Zeigen einer Straftat das Recht auf das Begehen einer solchen abgeleitet es geht aber darum, dass das Zeigen selbst als Straftat gewertet werden soll doch so viel Differenzierung war dem Staatsanwalt wohl nicht zuzumuten. Aber warum er nun gerade aus der Fülle der in den Medien gezeigten Straftaten eine von zwei Männern mit Migrationshintergrund wählt, macht nur dann Sinn, wenn es darum geht, gerade diese Bevölkerungsgruppe besonders zu adressieren  s. auch die Bemerkung des Staatsanwaltes vom Gastland am ersten Verhandlungstag: das riecht sehr nach Fremdenfeindlichkeit…).

 

Der Angeklagte habe gleich drei Straftatbestände erfüllt. Deshalb fordere er eine Bestrafung mit 5 Monaten Haft, die angesichts des Fehlens von Vorstrafen allerdings zur Bewährung auszusetzen sei, zuzüglich einer Geldbuße von EUR2000, die vorzugsweise an eine das Gedenken an den Holocaust pflegende Vereinigung zu gehen habe.

 

Er sagte, der Angeklagte habe sich uneinsichtig gezeigt und es sei zu befürchten, dass er bei entsprechender Gelegenheit wieder so handeln würde. Er begründete diese Vermutung der Uneinsichtigkeit in keiner Weise.

 

Geradezu zynisch mutete die Bitte des Staatsanwaltes an die Richterin an, das skandalöse Verhalten des Verteidigers nicht strafverschärfend wirken zu lassen  wie klein und hilflos muss ein Richter sein, um sich so etwas vorsetzen zu lassen!

 

Bei und nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes fragen wir uns, für wen dieser Vortrag bestimmt sei: die Zuhörerschaft, die er ja währende der Verhandlung offenbar als störende, feindliche Gruppe behandelte (s. seine Aufforderung zum Schweigen während einer Verhandlungspause), strafte er mit Verachtung, indem er uns durch seine Sprechweise (leise, überschnell, ohne alle rhetorischen Schwerpunkte, offensichtlich ohne den Versuch, überzeugend zu wirken) mitteilte: das Publikum ist mir gleichgültig.  Die Richterin wird durch den Staatsanwalt mit dieser Rhetorik so behandelt, als wolle er sagen, dass er dies ja alles schon vorab gesagt habe und dass nun nichts Neues mehr komme. Sie wisse schon…

 

Eine erneute Unterbrechung der Verhandlung: der Verteidiger bittet um 30 Minuten Pause, um sein Plädoyer den neuen Entwicklungen im Prozess anpassen zu können. Die Richterin gewährt nur 20 Minuten.

 

Plädoyer des Verteidigers:Das Plädoyer des Verteidigers fasst in wohltuend sachlicher Weise nochmals die Position der Verteidigung zusammen:

 

Er beginnt mit der persönlichen Vorbemerkung, er habe die Hoffnung gehegt, dass der Staatsanwalt sein Verhalten ändere. Dies sei zu seinem Bedauern nicht geschehen.

 

Das Gericht möge bedenken, dass so ein Verfahren öffentlich als der Versuch wahrgenommen werden könne, Kriegsgegnern einen Maulkorb zu verpassen.

 

Die Anklage ist im Prozess wesentlich erweitert worden, nämlich um Anklage gem StGB §130 (Volksverhetzung) und §166 (Beschimpfung religiösen Bekenntnisses).  Und so sei aus dem Strafbefehl über 60 Tagessätze ein Strafantrag auf eine Freiheitsstrafe zuzüglich einer wesentlich höheren Geldbuße geworden.  Es sei zu fragen, warum die Staatsanwaltschaft dies nicht schon früher in der Anklage gesagt habe. Die Frage der Meinungsfreiheit sei im Plädoyer des Staatsanwaltes überhaupt nicht angesprochen worden.

 

Der Verteidiger sagt nochmals, dass Issa auf die Kriegsverbrechen der israelischen Armee aufmerksam machen wollte. Mit seiner Aussage Wer wegsieht ist schuldig und dem Hakenkreuz habe er die Verbindung zum Schweigen und Ignorieren durch die deutsche Bevölkerung im Dritten Reich zum Ausdruck gebracht.  Issa, zu dessen Freunden auch Juden zählen, habe keine Aussage gegen Juden machen wollen und gemacht.

 

Die Verurteilung gemäß §86a ist gem. eines Urteils des BGH vom 15.3.2007 nicht möglich, weil dieses Urteil klarstellt, dass die Tatsache (Zeigen des Hakenkreuzes) im Zusammenhang mit dem Zweck dieses Zeigens gesehen werden muss und erst aus dem Zweck heraus den Tatbestand gemäß §86a erfüllt. Der Mandant habe aber durch das Zeigen gerade auf die Verbrechen der Nazis hingewiesen.

 

Die Anwendung von §130 (Volksverhetzung) ist aus zwei Gründen nicht möglich:

 

a)  die verkürzte symbolische Darstellung dient eindeutig der Aufklärung der Betrachter

 

b) es ist keine Zielgruppe einer Volksverhetzung zu erkennen.

 

Zu §166 verweist der Verteidiger darauf, dass eine Anwendung schon deshalb nicht in Frage komme, weil das Plakat im Sinne des heutigen Kunstbegriffes als Kunst einzustufen sei.

 

Er verweist darauf, er habe als Beweismittel das Polizeivideo von der Demonstration einbringen lassen wollen, um daraus nachzuweisen, dass Issa eine Stunde lang sein Plakat gezeigt habe ohne irgendwelche erkennbare Ablehnung auszulösen, bis dann die Polizei einschritt. Die Tat gemäß §166 muss geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören. Dies sei hier nicht gegeben.

 

Für alle diese Delikte ist Vorsatz erforderlich. Der Verteidiger stellt die Frage, ob Issa wusste, ob seine Handlung strafbar war. Die Frage, ob es sich um einen Verbotsirrtum oder einen Tatbestandsirrtum gehandelt habe, sei erheblich.

 

Hier versuchte der Staatanwalt das Plädoyer zu unterbrechen. Der Verteidiger reagierte durch die Aufforderung an die Richterin, sicherzustellen, dass er sein Plädoyer ungestört halten könne. Ihre Antwort, Ich höre zu reicht ihm nicht, er möchte, dass sie den Staatsanwalt auffordert, das Plädoyer nicht zu stören. Als der Staatsanwalt dennoch weiterredet, sagt der Verteidiger: Ich plädoyiere hier und bitte nicht unterbrochen zu werden. So etwas war im Faschismus üblich! Der Staatsanwalt droht ihm daraufhin mit einer Anklage.

 

Der Verteidiger fordert aus all den vorgebrachten Gründen einen Freispruch für Issa.

 

Replik des Staatsanwaltes:Der Staatsanwalt verweist in einer kurzen Replik, dass die Einlassungen zu §166 beide unerheblich seien.

 

Schlusswort des Angeklagten:Issa wird von der Richterin zu einer Stellungnahme aufgefordert. Er trägt in bewegender Weise vor, wie seine Familie aus ihrer Heimat im Norden des heutigen Israel vertrieben worden sei und in einem Flüchtlingslager im Libanon gelebt habe, als er 1964 geboren wurde. Seine Mutter, die aus ihrer Heimat ein friedliches Zusammenleben auch mit den Juden ihres Dorfes kannte, habe ihn in Respekt vor allen Menschen, auch vor Menschen jüdischen Glaubens erzogen. Er schilderte nochmals seine Kindheitserlebnisse bei den Angriffen der israelischen Luftwaffe auf das Lager 1974. Er war 15, als seine Mutter ihn zu seinem Bruder nach Berlin schickte, wo er seither lebt.

 

Er hat sich sehr mit deutscher Geschichte beschäftigt. Als die deutsche Öffentlichkeit angesichts des Gaza-Krieges wegsah, wurde er an das Wegsehen der Deutschen in der Zeit der Judenverfolgung durch die Nazis erinnert.

 

Er stellt eine sehr persönliche Frage an den Staatsanwalt: Haben Sie Krieg erlebt? Haben Sie die Wut der Ohnmacht erlebt? (Der Staatsanwalt blickt gleichgütig vor sich hin.)

 

Issa schildert, dass er in seinem Wohnviertel in Berlin (im Bayerischen Viertel) täglich an Gedenktafeln vorbeikommt, die er als Zeugnisse der Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerung damals wahrnimmt.

 

Deshalb seine Mahnung: Nicht wegschauen!

13:55 zieht sich das Gericht zurück.

 

Das Urteil14:10 verliest die Richterin im Namen des Volkes das Urteil: Issa wird in allen Punkten der Anklage schuldig gesprochen. Die Urteilsbegründung klingt, als habe der ganze Prozess nicht stattgefunden. Die Strafe: 120 Tagessätze (Verdoppelung des im von Issa zurückgewiesenen Strafbefehl geforderten) zu zahlen an eine Organisation, die sich der Pflege der Erinnerung an den Holocaust widmet.